November: Nicole Neumann (DLR)
Nicole Neumann leitet seit 2022 die Forschungsgruppe Carbon Management der Grundstoffproduktion am Institut für Future Fuels des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Nach ihrer Promotion 2020 im Bereich der thermochemischen Energiespeicherung forscht sie nun an der solaren Produktion von Wasserstoff, Stickstoff und anderen Grundstoffen. Im Interview gibt Nicole Einblicke in ihre Forschung und Motivation.
Interview:
Woran arbeitest du gerade?
Nicole Neumann: Meine Gruppe beschäftigt sich generell damit wie Hochtemperaturprozesse für die Produktion von Grundstoffen, wie z.B. Wasserstoff, Synthesegas oder auch Zement, nachhaltig gestaltet werden können. Dafür integrieren wir konzentrierende Solarenergie direkt in Prozesse um deren Wärmebedarf zu decken oder binden CO2 aus der Luft anstelle von fossilem Kohlenstoff als Rohstoffquelle ein.
Aktuell leite ich Projekte zur solaren Wasserstoff- oder Synthesegasproduktion mit Membranreaktoren, z.b. das EU Projekt SOMMER. Diese Membranreaktoren benötigen lediglich Wärme und keinen Strom um kontinuierlich Wasser und CO2 direkt in Wasserstoff und Kohlenstoffmonoxid aufzuspalten. Aus dem Mix dieser Produktgase (Synthesegas) kann z.B. Methanol synthetisiert werden oder auch Kerosin über die Fischer-Tropsch Synthese. Damit stellt es einen großen Hebel dar, um die Chemieindustrie nachhaltig zu betreiben oder über Sektorenkopplung den Transportsektor zu defossilisieren. Die direkte Einbindung konzentrierter Solarenergie zur Wärmeversorgung hat einerseits den Vorteil, dass dies mit weniger Energiewandlungsschritten einhergeht und somit potenziell höhere Wirkungsgrade erreichen kann und andererseits lässt sich thermische Energie kostengünstiger auch in großen Skalen speichern, als es mit Batterien für elektrische Energie derzeit möglich ist.
Daneben arbeiten wir auch an einer energieeffizienteren Produktion von Stickstoff aus Luft über einen thermochemischen Redoxkreisprozess. Ziel ist es möglichst reinen Stickstoff, mit Sauerstoffverunreinigungen < 10 ppm, für die Ammoniakproduktion der Zukunft zu produzieren. Hier hat unser Prozess deutliche Vorteile gegenüber herkömmlicher kryogener Luftzerlegung. Ammoniak hat eine große Bedeutung für die Herstellung von Düngemitteln, wird aber auch als Wasserstoffträger/-speicher diskutiert oder als Treibstoff im maritimen Sektor.
Was treibt dich persönlich an?
Nicole Neumann: Die Auswirkungen der Klimakrise werden immer deutlicher und mahnen uns täglich, schnell zu handeln. Es ist mir ein großes Anliegen, mit meiner Forschung dazu beizutragen. Neben dem Stillen meiner wissenschaftlichen Neugier gefällt mir an meiner Arbeit auch die methodische Vielfalt und die Möglichkeit, thematische Schwerpunkte zu setzen. Außerdem trägt mein sehr kollegiales und engagiertes Arbeitsumfeld wesentlich zur Motivation bei.
Welche Herausforderungen siehst du für dich in der nächsten Zeit?
Nicole Neumann: Da ich mir die Gruppenleitung mit einem Kollegen teile, ist es mir möglich, zeitweise neben der Projekt- und Gruppenleitung, auch inhaltlich zu arbeiten. Dies ist einerseits sehr erfüllend und führt andererseits aber teilweise zu einem Spagat zwischen extrinsischen und intrinsischen Anforderungen und erfordert ein gutes Zeitmanagement.
Auf inhaltlicher Ebene sehe ich eine Herausforderung in der nötigen Schnelligkeit der großskaligen Umsetzung nachhaltigerer Produktionsprozesse. Um dieser Herausforderung zu begegnen müssen unsere Technologien zu höherem Technology Readiness Level (TRL) entwickelt werden wofür ausreichend Manpower, Finanzierung und politische Rückendeckung gegeben sein muss, um die Rahmenbedingungen für die Industrie dementsprechend anzupassen.
Was würdest du dir für deine Forschung in Zukunft wünschen?
Nicole Neumann: Konzentrierende Solarenergie hat das Potenzial sowohl Strom als Grundlast bereit zu stellen, als auch nachhaltige Wärme bei über 1000 °C direkt in Prozesse zu integrieren. Auch für Anwendungen in Deutschland kann solare Prozesswärme einen Beitrag zur Wärmewende leisten. Dies ist ein noch unterschätztes Potenzial wo ich mir mehr Aufmerksamkeit wünschen würde. Nichtsdestotrotz ist eine enge Zusammenarbeit auf europäischer und internationaler Ebene notwendig, da überregionale Lösungen aus systemischer Sicht kostengünstiger sind. Für deren Verwirklichung wünsche ich mir auch, dass die Rahmenbedingungen angepasst werden, so dass die aktuell noch vorwiegenden externalisierten Kosten von CO2 Emissionen den verursachenden Prozessschritten angerechnet werden.
Wo siehst du deine Disziplin in 5-10 Jahren?
Nicole Neumann: Wir werden die nachhaltige Produktion von Grundstoffen weiter vorantreiben. Ein großes Ziel ist es erste Anlagen im industrienahen Umfeld testen zu können. Dafür müssen aber noch Fragestellungen zur Skalierbarkeit, Prozesssteuerung und der Wärmerückgewinnung adressiert werden. Thematisch sehe ich zuletzt auch einen Fokus auf hybriden Verfahren, zum Beispiel der Kombination aus konzentrierender Solarenergie und Photovoltaik oder auf der Prozessebene elektro-thermochemischer Ansätze.
ORCID: 0000-0003-2460-6907